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Zusammen kamen wir schon immer weiter!

Am 4. Future Food Symposium diskutieren wir, wie aktuelle Herausforderungen mittels Partnerschaften und effizienter Ressourcennutzung erfolgreich gemeistert werden können. Zur Vorbereitung blicken wir mit Peter Moser vom Archiv für Agrargeschichte (AfA) zurück ins 19./20. Jahrhundert. Peter Moser ist Initiant und Leiter des 2002 gegründeten Archivs für Agrargeschichte (AfA) in Bern. Er präsidierte von 2009 bis 2019 die Schweizerische Gesellschaft für ländliche Geschichte, ist seit 2019 Präsident der European Rural History Film Association (www.ruralfilms.eu) und seit 2022 Mitglied des Vorstandes der Agricultural History Society in den USA.

Was ist der genaue Auftrag des Archivs für Agrargeschichte und was finden wir darin?

Peter Moser: Das Archiv für Agrargeschichte (AfA) ist 2002 als erstes virtuelles Archiv in der Schweiz von Historikern und Agronomen gegründet worden. Es ist in der Archivierung, der wissenschaftlichen Forschung, der Wissensvermittlung sowie im Records Management (Unterlagenführung) tätig. Im Archivbereich erschliessen wir Quellen (Papier- und elektronische Unterlagen, audiovisuelle Quellen). Die vom AfA nach wissenschaftlichen Kriterien erschlossenen Unterlagen werden von öffentlichen Archiven (Schweizerisches Bundesarchiv, Staatsarchive) oder von den Aktenbildnern selbst sachgerecht aufbewahrt. Via unseren vier Portalen sind zudem Informationen zu mehr als 11’000 Personen (darunter sind hunderte von Agronom:innen) und Institutionen, zu Fotos von Arbeitstieren, zu rund 250 Archivbeständen sowie mehr als 1’000 Filmen gebührenfrei online zugänglich (www.agrararchiv.ch). Bisher erhielt das AfA von der öffentlichen Hand keine finanzielle Unterstützung.

Welche Formen der Zusammenarbeit entlang der Wertschöpfungskette waren im 19./20. Jahrhundert besonders wichtig?

Besonders prägend ist die Zusammenarbeit, die im 19/20. Jahrhundert zwischen den sich in Genossenschaften organisierenden Milchproduzenten und dem Käsereigewerbe entstand. Das hat die vorher primär Ackerbau treibende Schweiz grundlegend verändert und trug in vieler Hinsicht zur Industrialisierung der Wirtschaft und zur weltweiten Vernetzung der Landwirtschaft bei. Ein anderes Beispiel ist die Entwicklung der Produktion von Geflügelfleisch. Diese wurde in den 1960er Jahren vom Detailhändler Migros unter der Leitung des Agronomen Pierre Arnold in Zusammenarbeit mit Geflügelmästern als integrierte Produktion quasi neu erfunden. Das hat dazu geführt, dass der seither kontinuierlich steigende Konsum von Geflügelfleisch zu einem relativ grossen Teil in der Schweiz produziert werden kann.

 Die Agrarpolitik beschäftigte sich primär mit der landwirtschaftlichen Produktion. Im letzten Jahr publizierten Ausblick des BLW werden erstmals auch weitere Akteure (z.Bsp. Lebensmittelindustrie, Konsument:innen) adressiert. Warum war dies bisher nicht der Fall? Gab es politische Entscheide, welche die Zusammenarbeit in der Branche gefördert haben?

Die Vorstellung, dass sich die Agrarpolitik (AP) in der Vergangenheit nur mit der landwirtschaftlichen Produktion beschäftigt habe, ist ein Mythos, der entstanden ist, weil man sich nicht mehr mit der eigenen Geschichte beschäftigt. Die AP war seit dem 19. Jahrhundert Gesellschaftspolitik, die sich am Konsum orientierte. So unterstützte die AP die Landwirtschaft zuerst in ihrer Ausrichtung auf die Weltmärkte. Nach dem Ersten Weltkrieg konzipierte die Agrar- und Ernährungspolitik die Landwirtschaft dann als „Bundeshof“, der im Sinne eines Service Public ausgestaltet wurde. Und die Bauern und Bäuerinnen wurden in den Dienst der Ernährungssicherung der Bevölkerung gestellt. Weil die Agrar- und Ernährungspolitik jedoch die Produktion, nicht den Konsum regulierte, ging weitgehend vergessen, dass sie sich primär an der Ernährungssicherung (und heute auch explizit an der Umwelt) orientierte. Die umfassende Regulierung der Produktion zu diesen Zwecken führte dazu, dass der Produktionsbereich umfassend organisiert wurde. Die dazu gegründeten Verbände waren zwar nicht nur, aber doch zu einem grossen Teil Vollzugsorgane der staatlichen Agrarpolitik. Diese hat dann auch viel dazu beigetragen, dass der grösste Teil der bäuerlichen Bevölkerung im Verlaufe der Zeit ihre Existenz verloren hat – und die übriggebliebenen Betriebsleiter ein Einkommen erzielen können, das vergleichbar ist mit den Einkommen in den nichtlandwirtschaftlichen Bereichen. Die Landwirtschaft ist also seit hundert Jahren vergesellschaftet – vielleicht sind wir momentan Zeugen einer „Zeitenwende“, in der mit dem Konsum dasselbe geschieht.

Welchen Einfluss hatten technologische Entwicklungen auf die Partnerschaften in der Schweizer Agro Food Branche?

Ein zentraler Bereich war sicher die Motorisierung und die Entwicklung des chemisch-synthetischen Pflanzenschutzes in den 1950/60er Jahren. Mit diesen Veränderungen konnte die Zahl der Arbeitskräfte und der arbeitenden Tiere massiv reduziert und zugleich die Produktion stark ausgebaut werden. Ebenso wichtig konnte jedoch der Verzicht auf die Anwendung technologischer Neuerungen sein, wie am Beispiel des Festhaltens an der Herstellung von Rohmilchkäse (d.h. dem Verzicht auf eine Pasteurisierung der Milch) deutlich wird. Technologische Neuerungen sind nicht immer auch ökonomisch sinnvoll – und politisch zuweilen umstritten, wie heute am Beispiel der Gentechnologie deutlich wird. 

Es ist momentan viel die Rede von einer nötigen Transformation unseres Ernährungssystems. Welche Lehren aus der Vergangenheit erachtest Du als besonders wertvoll für die weitere Entwicklung des Schweizer Ernährungssystems?

Aus der historischen Entwicklung wissen wir: Wenn eine „Transformation“ gelingen soll, muss sie machbar sein und allen Gruppierungen, die sie durchführen sollen, sinnvoll erscheinen. Dazu braucht es Dialoge und gegenseitige Lernprozesse. Propaganda, Zwang, ökonomische Anreize und die Formulierung von Wunschvorstellungen allein genügen nicht. Insbesondere sollte heute eine ernsthafte(re) Auseinandersetzung mit den Zwängen, Widersprüchen und Möglichkeiten des schweizerischen Ernährungssystems erfolgen, weil dieses Teil eines weltweiten „food-regimes“ ist, das nicht nur durch nationalstaatliche Regulierungen geprägt wird. Ein erster Schritt dazu wäre eine seriöse Auseinandersetzung mit der (eigenen) Geschichte – nicht, um es gleich wie in der Vergangenheit zu machen, sondern um herauszufinden, weshalb man es wie machen möchte.

Dies war ein Blick in die Vergangenheit. Am 13. Juni werden uns aktuelle Beispiele von gelungenen Partnerschaften präsentiert und wir diskutieren, wie die Ressourcen- und Energienutzung effizienter gestaltet werden können. Hier geht es zu Programm und Anmeldung: https://eventfrog.ch/futurefoodsymposium23

Zum Abschluss schauen wir etwas in die Zukunft. Welche nächsten Projekte stehen beim Archiv für Agrargeschichte (AfA) an und was sind die grössten Herausforderungen, die auf euch zu kommen?

Wir sind daran, gemeinsam mit den Aktenbildnern (Verbänden, Firmen, Behörden) den Bereich der elektronischen Unterlagenführung und Langzeitarchivierung auszubauen, um sicherzustellen, dass künftig auch nachvollzogen werden kann, wie sich die Akteur:innen im Agrar-, Ernährungs- und Umweltbereich im frühen 21. Jahrhundert verhalten haben. Es geht um die Dokumentation der Überlegungen, der Entscheidungen und der Umsetzung in der vielfältigen Praxis. Dazu arbeiten wir auch im Bereich des Records Managements eng mit Firmen, Verbänden, Privaten und Behörden zusammen. Weil das Modell des AfA als virtuelles Archiv ausserhalb der Schweiz auf grosses Interesse stösst, sind wir auch am Aufbau ähnlicher Institutionen in anderen Ländern engagiert. Zudem bauen wir unsere online zugänglichen Dienstleistungen im Bereich der Wissensvermittlung kontinuierlich aus – was allerdings nur möglich sein wird, wenn das AfA für diese Arbeiten im Dienste der Öffentlichkeit auch finanziell unterstützt wird.

Weitere Informationen zum Archiv für Agrargeschichte findest du unter: www.agrararchiv.ch

Ein weiteres Interview gab Peter Moser kürzlich bei «Agrarpolitik – der Podcast». Dabei ging es um die Entwicklung der landwirtschaftlichen Bildung in der Schweiz: https://www.agrarpolitik-podcast.ch/p/agrarpolitik-mit-peter-moser-wissen

Zum Videoporträt über das AfA.

(die zwei historischen Bilder («Verladung der Milchkannen ins Postauto» & «Verladung der Milchkannen in den Zug») stammen aus dem Archiv der SMP)