Entwicklungszusammenarbeit – wie weiter?
Viele SVIAL-Mitglieder arbeiten in unterschiedlichen Rollen in der Entwicklungszusammenarbeit. Zwei SVIAL–Veranstaltungen auf Initiative von Loredana Sorg und Anna Beerli ermöglichten einen Austausch darüber, wie sich die Entwicklungszusammenarbeit verändert. Diese Diskussion führen wir im Jahr 2020 weiter. Ein Interview:
SVIAL: Was interessiert Sie beide so sehr an der internationalen Landwirtschaft und an der Entwicklungszusammenarbeit?
Loredana Sorg: International ist die Landwirtschaft ohnehin – die Schweizer Bevölkerung kann sich ohne Importe nicht selber ernähren. Damit beeinflussen wir unweigerlich auch landwirtschaftliche Strukturen im Ausland. Da sich sowohl in der Agrarforschung als auch in der landwirtschaftlichen Praxis ein Austausch zwischen Institutionen und ProduzentInnen verschiedener Länder positiv auswirkt, engagiere ich mich in der Entwicklungszusammenarbeit.
Anna Beerli: Marktsysteme sind global vernetzt und somit auch die Landwirtschaft. Diese Vernetzungen und die entscheidenden Hebel zu verstehen, um die landwirtschaftliche Produktion nachhaltiger zu gestalten, faszinieren mich. Ich war bisher hauptsächlich in der Entwicklung von Wertschöpfungsketten mit internationaler Reichweite involviert, weniger in der klassischen Entwicklungszusammenarbeit. Dennoch finde ich es spannend, durch den Vergleich der Landwirtschaftssektoren verschiedener Länder, Parallelen und neue Lösungsansätze zu erkennen.
SVIAL: Der SVIAL hat 2019 dank Ihrem Engagement bereits zwei Workshops zum Thema Entwicklungszusammenarbeit durchgeführt. Dabei ist einmal die folgende Bemerkung gefallen: «Die altehrwürdige Entwicklungszusammenarbeit ist tot!» – Was denken Sie zwei dazu?
Loredana Sorg: Da im Zusammenhang der Diskussion «altehrwürdig» ironisch zu interpretieren war: zum Glück. Heute geht es – aller meistens – um eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Selbst wenn das Geld fast ausnahmslos von reicheren zu ärmeren Ländern fliesst, geht der Wissenstransfer in beide Richtungen und die Ziele der Zusammenarbeit ergeben sich aus Diskussionen, nicht aus einer paternalistischen Absicht der Geberinstitution.
Anna Beerli: Das ist für mich schwierig zu beurteilen, da ich nicht in der klassischen Entwicklungszusammenarbeit aktiv war und ich masse mir hier kein Urteil an. Entscheidend scheint mir, die lokale Identifikation mit dem gemeinsamen Ziel sicherzustellen und dass externe Akteure wie «wir» keine Rolle einnehmen sollten, welche nach unserer Anwesenheit nicht ersetzt werden kann.
SVIAL: Welchen Nutzen bringt Ihnen der Erfahrungs- und Gedankenaustausch mit anderen Agrar- und LebensmittelwissenschaftlerInnen, die ebenfalls in der Entwicklungszusammenarbeit tätig sind?
Loredana Sorg: Ich schätze diesen ehrlichen Austausch über verschiedene Ebenen sehr. Hier kommen Fachleute unterschiedlicher Generationen aus der Privatwirtschaft, der Zivilgesellschaft und aus dem öffentlichen Sektor zusammen und diskutieren aktuelle Fragestellungen. Manchmal ist es motivierend, Ideen gemeinsam weiterzuspinnen, manchmal tut es gut, die eigene Meinung kritisch zu hinterfragen.
Anna Beerli: Ich empfinde es als sehr bereichernd, hin und wieder den Hut von jemand anderem aufzusetzen, um einen neuen Blickwinkel kennenzulernen. Durch den Dialog mit KollegInnen erhoffe ich mir, neue Ansichten und Meinungen zu verstehen und diese vielleicht auch in die eigene Arbeit einfliessen zu lassen.
SVIAL: Welche Ziele verfolgen Sie mit den zwei Workshops, die im Jahr 2020 geplant sind? Was bringen Ihnen die Veranstaltungen persönlich?
Loredana Sorg: Wir wollen verschiedene Formate ausprobieren – und hoffentlich auch neue Fachleute aus ganz unterschiedlichen Disziplinen dazu gewinnen. Diversität ist nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch in der Diskussion zur Zukunft der Entwicklungszusammenarbeit eine grosse Bereicherung. Ausserdem möchten wir Parallelen zur Schweizer Landwirtschaftsszene aufzeigen. Auch hier können beide Seiten vom Austausch profitieren.
Anna Beerli: Nach dem letzten Austausch haben wir den Titel der Veranstaltungsreihe umbenannt zu «Lokale und internationale Ernährungssysteme – ein Gedankenaustausch». Das gefällt mir sehr, denn ich habe den Eindruck, dass Probleme, welche ich in unterschiedlichen Ländern gesehen habe, durchaus vergleichbar sind mit jenen in der Schweiz. Natürlich sind die Rahmenbedingungen und Möglichkeiten sehr unterschiedlich, aber es ist spannend, Parallelen zu entdecken, um durch den Dialog auch Lösungsansätze zu finden. Ich hoffe, dass Aspekte des Gedankenaustauschs für die tägliche Arbeit, welche heute im Schweizer Kontext stattfindet, inspirierend sein können oder gar neue Projekte und Ideen entstehen könnten.
Loredana Sorg
Loredana Sorg hat an der ETH Zürich Agrarwissenschaft mit Vertiefung Ressourcenökonomie studiert. Danach arbeitete sie in der agrar- und regionalwirtschaftlichen Beratung bei der Flury&Giuliani GmbH, am Institut für Umweltentscheidungen der ETH sowie an der FAO in Rom und für Projekte in Georgien und der Ukraine. Seit 2015 ist Loredana Sorg Programmverantwortliche für nachhaltige Landwirtschaft in Ostafrika bei der Stiftung Biovision in Zürich.
Anna Beerli
Nach dem Master in Agrarwirtschaft ETH (Food and Resource economics) hat Anna Beerli während fünf Jahren im Bio- und Fairtrade-Handelsunternehmen PAKKA AG gearbeitet. Sie hat dabei entlang der ganzen Nuss– und Kakao–Wertschöpfungskette gearbeitet, von der Koordination von Anbauprojekten mit Kleinbauern und Verarbeitern bis hin zum Handel mit Rohwaren. Seit Anfang 2020 arbeitet sie für ihre neue Stelle am BLW im Fachbereich Agrarökonomie, Raum und Strukturen.
Veranstaltungshinweis: Lokale und internationale Ernährungssysteme – ein Gedankenaustausch
Reservieren Sie sich die Daten!
Der SVIAL organisiert wieder zwei Diskussionsveranstaltungen zur Entwicklungszusammenarbeit. Loredana Sorg und Anna Beerli werden die beiden Veranstaltungen vorbereiten und durchführen. Die Veranstaltungen werden ab 17.00 Uhr stattfinden am:
11. Mai 2020 (in Zürich)
16. September 2020 (in Bern)
Haben Sie Interesse mitzudiskutieren? Wir freuen uns auf interessierte Lebensmittel- und Agrarwissenschalftler/innen.