
Eine agronomische Reise durch das norditalienische Hinterland
Der folgende Bericht beschreibt eine aussergewöhnliche Reise, die ihren Ursprung in der Idee von Tim Schmid fand. Anfang Juni versammelten sich zwanzig von uns um seine Idee Wirklichkeit werden zu lassen. “Wir”, das sind alles Agronominnen und Agronomen (darunter die SVIAL-Mitglieder Andreia Arbenz, Nicolin Caflisch, Lara Meier, Damian Oswald, Ramon Reimann und Argeo Ulrich) die ihr Studium an der ETH Zürich im Herbstsemester 2017 begonnen haben, mittlerweile vor dem Abschluss stehen oder gerade abgeschlossen haben. Insbesondere weil während unseres Studiums viele Exkursionen der Pandemie wegen abgesagt worden waren, war diese Reise eine ausgezeichnete Gelegenheit, sich wieder einmal physisch zu sehen.
Unser Ziel war zwei verschiedene Regionen Norditaliens zu erkunden und die landwirtschaftlichen und kulinarischen Schätze, die sie zu bieten haben, zu entdecken. Das Ergebnis war eine lehrreiche Reise, die uns durch eine Welt der traditionellen und innovativen Landwirtschaft führte.
Unser Reiseabenteuer begann am 7. Juni 2023 mit einer ausgedehnten Fahrt, die uns von Zürich bis in die Umgebung von Bologna führte. Die Vorfreude auf die folgenden Erlebnisse liess die Reisezeit durch die Schweizer Alpen und über die norditalienische Poebene wie im Fluge vergehen. Die allermeisten Gruppen trafen gegen Mitternacht in Sasso Marconi ein, wo eine Unterkunft auf uns wartete. Für viele war es ein Wiedersehen nach langer Zeit – was wohl ein Grund sein mag, weshalb es am nächsten Morgen zu Ruhestörungs-Vorwürfen vonseiten anderer Gäste kam.
Der Morgen des nächsten Tages führte uns zum biodynamischen Hof Al di la del Fiume, wo wir von Danila Mongardi in Empfang genommen wurden. Sie verstand es meisterhaft, uns die Geschichte des Anwesens näher zu bringen, während sie uns durch die mit biodynamisch angebauten Weinreben und anderen Früchten bepflanzten Felder führte. Der Fokus lag besonders auf den Anbaumethoden und Praktiken, die in dieser Form der Landwirtschaft zur Anwendung kommen. Gekrönt wurde die Besichtigung wurde mit der Präsentation des Weinkellers, in welchem der Wein auf natürliche Weise, ganz ohne Zugabe von Hefekulturen, in Stahlbehältern oder Ton-Amphoren reift. Dieser Prozess, so wurde uns erklärt, habe einen markanten Einfluss auf den Geschmack des Weines. Eine Aussage, die wir uns nicht entgehen liessen, im Hofeigenen Restaurant zu überprüfen. Bei einer Weinprobe, begleitet von köstlichem Parma-Schinken, Salami, lokalem Käse und Crescentine Modenese, einem traditionellen Fladenbrot der Region, konnten wir uns die Verbindung von Tradition und Qualitätsbewusstsein auf der Zunge zergehen lassen.


Besuch auf dem biodynamischen Hof Al di la del Fiume. Hier trifft sich Agriturismo mit der Produktion naturvergährten Weines
Am Nachmittag erwartete uns mit dem Besuch beim Hof La Cimbalona und dessen Betreiber Daniele Bucci ein weiteres Highlight. Obwohl wir etwas verspätet eintrafen, nahm sich der studierte Agronome Zeit, uns die Vorzüge und Herausforderungen seiner Arbeit zu erläutern. Besonders beeindruckt hat uns dabei der Agroforst, den Daniele gerade erst angelegt hatte. Hier wird in naher Zukunft eine wilde Mischung aus Obstbäumen, Beeren und allerlei Wildwuchs gedeihen. Wahre regenerative Landwirtschaft, welche zum neuen Herzstück seines Betriebes werden soll. Das Zentrum seiner jetzigen Arbeit stellt der alte Teil des Hofes dar, in welchem Daniele reihenweise experimentelle Mischkulturen anbaut, zum Beispiel Erdbeeren und Tomaten.

Passioniert diskutiert Daniele Bucci mit uns (und anderen Besuchern) über die regenerative Landwirtschaft und ihre zukünftige Rolle.
Über die Geschehnisse des Tages wurde beim Abendessen in der charmanten Studentenstadt Bologna noch lange reflektiert und wir alle freuten uns auf die Fortsetzung unserer Reise.
Am Freitagmorgen ging es zur Caseificio Bazzanese, einer renommierten Käserei, die für die Herstellung des Parmigiano Reggiano, also des echten Parmesans, bekannt ist. Die Führungsleiterin Silvia Sala erläuterte uns den gesamten Herstellungsprozess – von der Gerinnung der Milch über die Molkenextraktion und das Salzbad bis hin zur Reifung. Der Prozess, an dem wir in Echtzeit teilhaben durften, gewährte uns einen lehrreichen Einblick in die kommerzielle Käseherstellung. Eine Besonderheit erwartete uns in der Käsereifungshalle: Nach einem Jahr Lagerung wird jeder Laib Käse von einem professionellen Klopfer geprüft. Nur wenn der Klang genau richtig ist, erhält der Käse einen Stempel, der die Echtheit des Parmigiano Reggiano bestätigt. Im Anschluss an die Führung bot sich uns die Möglichkeit, verschiedene Stufen der Parmesanreifung zu verkosten. Dabei galt unser Hauptaugenmerk der Frage, wie die Reifezeit den Geschmack und die Konsistenz des Käses beeinflusst.


In der Käserei Bazzanese wird laufend Parmigiano Reggiano produziert.
Die Nachmittagsstunden verbrachten wir auf einer ausgedehnten Fahrt in Richtung Alba im Piemont. Während wir durch die malerischen Landschaften Norditaliens fuhren, bot sich uns reichlich Gelegenheit, die Eindrücke in der Emilia-Romagna zu verdauen und uns auf die kommenden Erlebnisse im Piemont vorzubereiten. In Herzen Albas sammelten wir uns in der Casa di Ospitalità Religiosa Seminario Vescovile di Alba, einem Seminar, in welchem wir übernachten durften. Anschliessend ging es für den gemeinsamen Ausklang des Tages in ein edles Restaurant. Hier wurden wir mit einem reichhaltigen Angebot an piemontesischen Spezialitäten verwöhnt. Jeder Bissen und jeder Schluck Wein unterstrichen das kulinarische Gewicht der Region und machten den Abend zu einem unvergesslichen Erlebnis. Ein perfekter Abschluss eines spannenden Tages, der uns noch mehr Vorfreude auf das kommende Abenteuer bereitete!
Ein verregneter Samstagmorgen läutete den Besuch der Azienda Agricola Propi Bun ein, die von den engagierten Schwestern Michela und Chiara Marenda geleitet wird. Eingebettet in das Herz der idyllischen Alta Langa, hat dieser familiengeführte Betrieb eine lange Tradition im Anbau von Haselnüssen. Bis zur Übernahme durch die Schwestern wurden die Haselnüsse allerdings stets unverarbeitet verkauft. Angesichts der finanziellen Herausforderungen, die ein solch kleiner Hof mit sich bringt, fassten die jungen Frauen den Entschluss, die Verarbeitung der Haselnüsse in eigene Hände zu nehmen. Begleitet von Chiara Marenda und ihrem Partner durften wir einen Einblick in ihre Haselnuss-Plantagen gewinnen, wo sie auf einem Gebiet von 10 Hektaren durchschnittlich 15 Tonnen Haselnüsse ernten. Der Schwerpunkt unseres Besuchs lag jedoch auf dem zeitintensiven Prozess der Nussverarbeitung. Hier konnte man die Hingabe und das handwerkliche Können der Familie Marenda spüren. Ob frisch geschält oder geröstet, ob in Form eines köstlichen Haselnussaufstrichs, oder als Bestandteil anderer Delikatessen – die Haselnüsse haben inzwischen vielerlei Gestalten angenommen. Selbstverständlich durfte eine Verkostung dieser Haselnussprodukte nicht fehlen. Zusammen mit einem Glas Moscato liessen wir uns also durch das Haselnuss-Menü führen – ein wahrer Gaumenschmaus, und ein schönes Ende des Besuchs.


Auf der Azienda Agricola Propi Bun wurde uns nicht nur vorgeführt, wie Haselnüsse in den Bergen produziert werden, sondern auch, was sich alles aus ihnen machen lässt.
Der Nachmittag führte uns zur Azienda Agricola Bajaj, der Heimat des innovativen Winzers Adriano Moretti. Im Vergleich zu unserer Begegnung mit der biodynamischen Winzerin aus Bologna, bot Moretti eine völlig andere Perspektive auf die Weinherstellung. Anstatt sich auf alte Traditionen zu verlassen, setzt er auf Innovation und technologischen Fortschritt als Schlüssel zur Lösung der aktuellen und zukünftigen Herausforderungen in der Weinproduktion. Moretti, dessen akademische Laufbahn ihn ursprünglich in die Politik geführt hatte, entschied sich vor etwa einem Jahrzehnt, in die Fussstapfen seiner Eltern zu treten und sich der Weinherstellung zu widmen. Anfangs war sein Vater skeptisch gegenüber der unorthodoxen Herangehensweise seines Sohnes, insbesondere als Adriano anfing, den damals verpönten Rosé zu produzieren. Heute jedoch hat der Vater seine Skepsis abgelegt und kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, wenn er sagt: “Er vermarktet den Wein sehr geschickt, das muss man ihm lassen.” Die Schönheit der piemontesischen Landschaft war atemberaubend. Die kleinstrukturierte Region bietet ein ideales Umfeld für den Anbau von Qualitätsweinen. Erneut endete der Besuch mit einer genüsslichen Weinprobe. Adriano Moretti schloss die Verkostung mit den Worten: “Der beste Wein ist immer derjenige, der einem am besten schmeckt.” Ein passendes Motto, das seine pragmatische Herangehensweise an die Weinherstellung unterstreicht.

Adriano Moretti präsentiert uns seinen Weinberg, auf welchem er Innovation einbrigen will.
Am letzten Tag unserer Reise stoppten wir bei der Azienda Agricola Praino, idyllisch gelegen in der Po-Ebene zwischen Turin und Mailand. Wir wurden herzlich von dem Reisbauern Gianvittorio Manachino begrüsst, und begaben uns direkt zu einem seiner Reisfelder. Mit ruhigen Worten zeigte uns Gianvittorio die Unterschiede zwischen seinen biologisch bewirtschafteten Reisfeldern und den konventionell bewirtschafteten Parzellen seiner Nachbarn. Die Detailtiefe, mit der er die Einzigartigkeiten und Herausforderungen des biologischen Reisanbaus erklärte, war faszinierend. Der Biolandbau ist für Gianvittorio jedoch nur ein Label – sein wahres Streben gilt der Philosophie der Makrobiotik, einer Lehre, die weit über die einfache Betrachtung biologischen Anbaus hinausgeht. Gianvittorio erzählte auch begeistert, wie die Menschen die Landschaft über die Jahrhunderte hinweg verändert haben, sodass das Wasser des Flusses alle Reisfelder durchzieht. Diese Anpassung hat die Basis für den Nassreisanbau in der Region geschaffen, ein lebendiges Zeugnis des Aufwandes, welches für die Landwirtschaft betrieben wurde. Und wie es mittlerweile fast schon Tradition war, rundeten wir auch diesen Besuch mit einem köstlichen Essen ab. Hier war es die Mutter des Bauern, die in der Rolle der Gastgeberin auftrat. Sie hatte verschiedene Reisgerichte für unser Mittagessen vorbereitet – wie immer natürlich begleitet von Wein. Nach den anstrengenden vier Tagen, in denen Weindegustation auf Weindegustation folgte, lehnten die meisten unter uns allerdings dankend ab.



Reisbauer Gianvittorio Manachino erzählt ausdauernd vom Bio-Reisanbau in der Po-Ebene, sowie von seiner Philosophie, der Makrobiotik.
Mit diesem letzten kulinarischen Erlebnis neigte sich unsere intensive und erlebnisreiche Reise ihrem Ende zu. Die Augenblicke des Abschieds waren gefüllt mit Herzlichkeit und Wertschätzung, während wir uns auf den Rückweg in die Schweiz machten. Die Fülle der Erfahrungen, die wir auf dieser Reise gesammelt hatten, spiegelte sich in den Produkten wider, die wir mit nach Hause brachten. Sie waren nicht nur Symbole für die kulinarische Vielfalt Italiens, sondern auch für die Leidenschaft der Menschen, die diese Produkte mit so viel Sorgfalt und Liebe herstellen. Und so kehrten wir, beladen mit Wein, Reis, Käse und Haselnussprodukten, in die Schweiz zurück. Mit jedem Schluck Wein, mit jedem Bissen Käse oder Reis, werden wir an diese Reise zurückdenken und die Erinnerungen an Italien wieder lebendig werden lassen.

Angestossen wurde während der Italienreise zur Genüge – Salute!
Zum Schluss möchten wir uns noch für den finanziellen Beitrag des SVIAL an den Apéro auf der Azienda Agricola Bajaj ganz herzlich bedanken und hoffen, dass wir mit diesem Artikel zukünftige Absolventinnen und Absolventen für eine solche Reise begeistern können.
(verfasst von Damian Oswald, Bilder von Manuel Schmucki)